Archiv für den Monat: August 2015

Die Realität hat mich wieder – der Alltag nach dem Urlaub

Manche Kontraste in meinem Leben sind einfach so stark, dass sie heftige emotionale Unwetter in mir auslösen. Heute war es mal wieder soweit. Während ich gestern noch friedliche Stunden alleine mit dem Hund verbracht habe, und ich die Stille in der Wohnung für einige Stunden entspannt genießen konnte, sind jetzt, nach einer Woche Urlaub bei den Großeltern, alle Kinder wieder zu Hause.

Auch wenn ich meiner Freude über die Rückkehr der Kinder nicht so eindrücklich Ausdruck verliehen habe, wie unser Freudentänze aufführender Hund, freue ich mich sehr, dass alle wieder zusammen sind. Und gleichzeitig war die erste Tageshälfte heute so anstrengend, dass ich jetzt gerne eine Woche Urlaub hätte – alleine ;-).

War ich in den letzten Tagen im Wesentlich nur für mich zuständig, stürmt jetzt die gute und schlechte Laune von drei Kindern auf mich ein, in einem Tempo, einer Wechselhaftigkeit und einer Intensität, an die ich mich erst wieder gewöhnen muss. Wenn alle gleichzeitig schlechte Laune hätten, wäre es vermutlich sogar leicht zu händeln, aber so gibt es abwechselnd immer wieder einen, der für ordentlich Stunk sorgt, während die anderen gerade fröhlich von den Ferien erzählen wollen. Puh.

Für den Moment bin ich sehr froh, dass die älteren Kinder sich ob des schlechten Wetters ins Kino verzogen haben, und die (große) Kleine mit einer Freundin spielt. Dieses Tempo wäre für den Rest des Tages schwer aushaltbar gewesen. Und gleichzeitig sehe ich solche Umbrüche (inzwischen) als große Chance mal wieder genau hinzuschauen, wo es denn zu Reibungen kommt, und was das Verhalten und die Reaktionen der einzelnen Kinder in mir auslösen. So war z.B. heute deutlich sichtbar, dass einem meiner Jungs einfach mal wieder so langweilig war, dass er mit jedem Stunk angefangen hat – sogar mit dem Hund – nur damit Action in der Bude ist. Soweit es unser aller Wohl diente, habe ich ihn zuerst in seine Schranken gewiesen, um danach in Ruhe mit ihm über das Thema Langeweile und seinen Umgang damit zu sprechen. Natürlich ist dieses Thema noch nicht erschöpfend behandelt, und so werden wir in den nächsten Ferienwochen am Ball bleiben. So deutlich wie heute habe ich das schon lange nicht mehr wahrgenommen, und ich bin dankbar dafür, dass es jetzt offen vor uns auf dem Tisch liegt und wir damit besser umgehen lernen können.

Nummer zwei hat in der Ferienwoche ordentlich Frust in sich hinein gefressen und mich beim Wecken schon so nett begrüßt, dass ich die Tür zum Zimmer wieder geschlossen habe, um mit den beiden anderen Kinder alleine zu frühstücken. Inzwischen hat sich sein Frust Bahn gebrochen und ich weiß, was gelaufen ist. Wir werden auch an diesem Thema dranbleiben. Vielleicht schaffen wir es das nächste Mal ja, ohne vorherigen Streit und schlechte Laune darüber zu sprechen, wo der Schuh gerade drückt.

Nach ein, bzw. zwei Wochen ohne Smartphone und Rechner spielte heute natürlich auch der vernünftige Umgang mit digitalen Medien wieder eine große Rolle. Und auch das gab zunächst Zoff und danach ein durchaus konstruktives Gespräch, in dem von allen Seiten das Einverständnis zu einem maßvollerem Umgang gegeben wurde.

Ja, es haben sich bei uns heute in sehr kurzer Zeit viele Reibungspunkte gezeigt, und das war wohl für alle sehr anstrengend. Jetzt gehen wir unterschiedliche Wege, um uns abzureagieren und zu stabilisieren. Und trotzdem war der Tag heute eine richtig große Chance zu sehen, was wir wirklich wollen und wie wir es erreichen können. Im Alltag arrangieren wir uns allzu oft mit Situationen, die wir so eigentlich nicht wollen, nur damit der Alltag einigermaßen rund läuft. Umbrüche sind daher oft hilfreich, um mal wieder genau hinzuschauen und klar zu formulieren, was wir wollen, und wie jeder einzelne in der Familie seinen Bedürfnissen gerecht werden kann. Auch und gerade in der Realität.

Vom Über-Leben zum Leben – der Luxus in meinem Leben

Earth day

Mein freies Wochenende! Bis auf den Hund sind alle verreist, mein Mann ist mit den Kindern bei seinen Eltern, und ich bin allein zu Hause! Über 50 Stunden, die nur mir gehören. Ganz bewusst bin ich „planlos“ in diese Tage gegangen, damit ich mich treiben lassen kann, mich dahin ziehen lassen kann, wohin es mich zieht. Und es zieht mich mit Macht an den Computer – schreiben, nichts anderes kommt mir gerade in den Sinn. Und so schreibe ich, worüber ich beim ausgiebigen Spaziergang mit dem Hund heute Vormittag nachgedacht habe, über das, was ich in meinem Leben als wahren Luxus empfinde.

Seit mehr als zwei Jahren bin ich nun schon dabei, die Dinge in meinem Leben anzuschauen, die Reibung in mir erzeugen. Wut und Aggressionen waren die Ausgangslage. Viel Geschrei im Familienalltag und große Unzufriedenheit haben mich dazu gebracht, die ersten kinesiologischen Sitzungen zu nehmen. Bis heute tritt nach jeder Sitzung Erleichterung ein, sind für mich mal kleine, mal große und mal bahnbrechende Fortschritte fühlbar und sichtbar. In diesen Sitzungen tauchen immer wieder Themen aus meiner eigenen Kindheit und aus den Generationen auf, so dass ich mich zunehmend mehr für meine „Geschichte“ interessiere, für das Leben der Generationen vor mir und dafür, welchen Einfluss es auf mein Leben und auf das Leben meiner heutigen Familie hat.

Da mein Großvater als einzig lebender Vertreter meiner Großelterngeneration inzwischen 92 Jahre alt ist, bin ich froh und dankbar für alles, was ich von ihm aus „erster Hand“ über sein Leben und das Leben der Generationen vor ihm erfahren kann. Und so sind mein Opa, meine Mutter und ich letzte Woche bei einem Besuch bei meinen Eltern in die Vergangenheit „abgetaucht“. Wir haben gemeinsam das Fotoalbum meiner Großmutter angeschaut und lange über die Familie der Mutter meines Großvaters gesprochen. Auch vom Tod von Opas Vaters während er an der Front war, und dass mein Großvater nichts fühlen konnte, als sein Vater starb. Ich sah Tränen in seinen Augen und begann ganz langsam zu begreifen, wie stark mein Großvater sich von seinen Emotionen abkoppeln musste, um den Krieg und die Zeit danach überleben zu können. Ich spürte die Zerrissenheit in ihm und die vielen nicht verarbeiteten schrecklichen Dinge, die er erlebt hat und/oder an denen er beteiligt war.

In meinem Kopf fügen sich Puzzleteile aneinander, ich beginne Zusammenhänge zu fühlen und zu begreifen. Emotionale Distanz und vermisste Liebe werden sichtbar, finden sich an vielen Stellen wieder. Verzweiflung, Überlebenswille und das in Kauf nehmen von Risiken, um zu überleben, zeigen sich. Obwohl wir in diesem Gespräch die Zeit des Kriegs nicht vertiefen, finde ich viele Informationen darüber in einem Buch, das die Schwester meines Opas geschrieben hat, und in dem sie ihr Leben und ihre Sicht auf die Zeit des 2. Weltkriegs und danach beschreibt. Beim Lesen habe ich auf einer sehr tiefen Ebene gefühlt und verstanden, wie sehr das bloße Überleben in dieser Zeit im Vordergrund stand. Einfach nur überleben.

Während ich mit dem Hund durch den sonnigen, kühlen Wald spaziere, wirken die Gespräche und das Buch in mir nach, und mir wird zutiefst bewusst, wie gut ich es habe. Und ja, ich bin sehr, sehr dankbar dafür!

Und dabei habe ich als Kind diesen Spruch immer gehasst: „Guck doch, wie gut Du es hast….“. Ich weiß nicht mehr, wer ihn gesagt hat, vermutlich mein anderer Großvater. Natürlich hatte ich es deutlich besser als er. Der Spruch kam aber immer dann, wenn es mir emotional gerade nicht berauschend ging, weil etwas nicht so lief, wie ich es mir vorgestellt hatte. Gemeint war mit dem Spruch nämlich: „Du hast keinen Grund Dich zu beschweren (zu motzen), Dir geht es viel besser als es uns ging.“ Gepaart mit dem Vorwurf der Undankbarkeit. Emotionale „Notstände“ eines Kindes zählten nicht.

Und hier finde ich für mich den wahren Luxus in meinem Leben. Neben dem sicheren Dach über dem Kopf, der im Winter gemütlich geheizten Wohnung, dem vollen Kühlschrank, … und vielem mehr, was für mich immer Normalität war, sehe ich den wahren Luxus darin, dass ich die Zeit und die Mittel habe, mich um mich zu kümmern. Wenn ich sehe, wie viel unverarbeitete traumatische Erlebnisse mein Großvater immer noch mit sich herumträgt, dann bin ich froh, dass es für mich Mittel und Wege gibt, mit emotionalem Ballast umzugehen und ihn aufzulösen. Mussten viele Menschen der Generationen vor mir ihre Emotionen unterdrücken und traumatische Erlebnisse verdrängen, um den Alltag bewältigen zu können und um zu überleben, kann ich hinschauen, kann Lösungen finden, damit ich mich besser fühle. Mich gut fühlen, mich um meine emotionalen Bedürfnisse kümmern, die emotionalen Bedürfnisse meiner Kinder sehen und ernstnehmen, das ist für mich wahrer Luxus. Wir haben die Möglichkeit, alte Wunden und Traumen im Familiensystem zu erkennen und zu heilen, und damit das Leben noch lebenswerter und leichter zu machen. In Familienaufstellungen habe ich mehrfach erfahren, wie die Vergangenheit auf die Lebenden wirkt und welch tiefgehende Heilung möglich ist. Wir haben die Mittel, die Zeit und die Möglichkeiten zu beenden, was über Generationen wirkte, damit wir und unsere Kinder davon unbelastet leben können. Muster, die sich in Familien wiederholen, können erkannt und durchbrochen werden.

Es ist nicht mehr notwendig, zu funktionieren, um zu überleben, und trotzdem gibt es noch viele Menschen, die schlicht funktionieren. Die ihre Emotionen mit Arbeit überdecken und meinen, sie müssten wie der Hamster im Rad immer weiter rennen. Neben anderen Verdrängungsweisen, wie z.B. Süchten, ist dies wohl die akzeptierteste und häufigste. Immer weiter machen, um nicht hinschauen zu müssen, wie es „innen“ aussieht, schlechte Gefühle und emotionale Schmerzen mit Arbeit und Routine betäuben. Wir haben den Luxus der Wahl, jeder einzelne. Wir können uns betäuben, wenn es uns nicht gut geht, oder wir können für uns sorgen, damit es uns besser geht. Wir können Mitgefühl für uns selbst entwickeln und auf uns achten, wir müssen nicht mehr schlicht über-leben, wir können leben – mit Freude! Ich bin zu tiefst überzeugt, dass Menschen, die mit sich selber mitfühlend umgehen, die auf ihre eigenen Bedürfnisse achten und für sich sorgen, automatisch mitfühlender mit ihren Mitmenschen umgehen und auch auf deren Bedürfnisse mehr Rücksicht nehmen. Und so entspannt sich mitunter auch das Familienleben :-).

Ich für meinen Teil bin sehr froh, aus dem Hamsterrad ausgestiegen zu sein und inzwischen wirksamere Methoden als Arbeit oder Essen zu kennen, die mir helfen, mit negativen Emotionen umzugehen. Sprüche wie „stell Dich nicht so an“, „das wird schon wieder“, „es muss ja“ gehören nicht mehr zu meinem Leben. Und so kann ich Emotionen immer besser wahrnehmen und zulassen, die schönen und die anstrengenden, denn ich weiß, dass ich damit umgehen kann. Welch ein Luxus im Vergleich zum Leben meiner Großelterngeneration!

So, der nächste Spaziergang mit dem Hund steht an. Die Sonne scheint, auf geht´s!